Gesundheitliche Probleme
Der Unterstützungsbedarf von Menschen mit Behinderung nimmt im Alter häufig zu, da zu bestehenden Funktionseinschränkungen altersbedingte Erkrankungen hinzukommen und körperliche sowie geistige Möglichkeiten alterskorreliert abnehmen.
Eine Besonderheit bei Menschen mit einer kognitiven oder komplexen Behinderung liegt darin, dass sie sich oft nicht direkt zu den erlebten Veränderungen äussern können. Weitere Herausforderungen bilden die Multimorbidität (gleichzeitiges Bestehen von mehreren Krankheiten) und die damit einhergehende Polypharmazie (gleichzeitige Einnahme von mehr als fünf Arzneimitteln). Daraus resultieren besondere Anforderungen an die Bezugspersonen sowie an eine adäquate medizinische Versorgung.
Alterungsprozesse und Alterserkrankungen
Alterungsprozesse verlaufen bei Menschen mit einer lebensbegleitenden Behinderung nicht grundsätzlich anders als bei Menschen ohne Behinderung. Beginn, Ausmass, Dauer sowie Verlauf werden aber von der jeweiligen Beeinträchtigung beeinflusst. Bedingt durch die allgemein gestiegene Lebenserwartung für Menschen mit Behinderung, steigt auch deren Risiko, altersbedingte Krankheiten zu erleiden. Dabei wurde bei Menschen mit einer körperlichen Beeinträchtigung oder Mehrfachbehinderung in Bezug auf Multimorbidität, Polypharmazie, Arthritis, Krebs, Diabetes, Übergewicht und Demenz eine höhere Vulnerabilität festgestellt als bei Menschen ohne Behinderung. Bei Menschen mit einer kognitiven Beeinträchtigung kommen Einschränkungen des Seh- und Hörvermögens, Schilddrüsendysfunktionen, Osteoporose, Herz-, Gefäss- oder Atemwegerkrankungen häufiger vor als bei der Durchschnittsbevölkerung. Verschiedene Auswirkungen der Behinderung können bei allen Formen von Behinderungen durch den Alterungsprozess verstärkt und überlagert werden.
Häufig entwickeln sich gesundheitliche Probleme schleichend und werden erst spät wahrgenommen. Das ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass Menschen mit einer Behinderung gesundheitliche Schwierigkeiten oft nicht deutlich mitteilen können. Eine weitere Ursache findet sich auf der Betreuungsseite. Oftmals fehlen dem sozial- und heilpädagogisch geschulten Fachpersonal Kenntnisse über Krankheiten und deren Auswirkungen. Zusätzliche altersbedingte Beeinträchtigungen und deren Ursachen werden somit nicht erkannt. Oder veränderte Verhaltensweisen werden als Verhaltensauffälligkeiten beurteilt und medizinische Ursachen damit ausgeschlossen. Eine geschulte Beobachtung im Alltag, die auch den somatischen Bereich einschliesst, sowie regelmässige Vorsorgeuntersuchungen sind hier zwingend, um Alterungsprozesse und damit einhergehende gesundheitlichen Auswirkungen frühzeitig erkennen zu können.
Das Konzept der Funktionalen Gesundheit definiert ein Entwicklungsmodell, mit dem sich das komplexe Zusammenspiel unterschiedlicher Faktoren in Bezug auf Behinderung abbilden und erklären lässt. Das Konzept bedingt ein fundamentales Umdenken, denn der Bedarf an Leistungen wird nicht länger von einer Schädigung oder Leistungsminderung abgeleitet. Im Fokus steht, was eine Person mit einer bestimmten Beeinträchtigung braucht, damit sie möglichst gesund, kompetent und unbehindert an normalisierten Lebensbereichen teilhaben kann.
Menschen mit Seh- und Hörsehbeeinträchtigungen im Alter in Institutionen
Die vom Schweizerischer Zentralverein für das Blindenwesen SZB und dem Kompetenzzentrum Seh- und Hörbehinderung im Alter (KSiA) erarbeiteten Faktenblätter weisen darauf hin, dass im Alter und insbesondere im höheren Alter immer mit einschneidenden, im Alltag und für die Pflege und Betreuung relevanten Seh- und/oder Hörbeeinträchtigungen zu rechnen ist. Die Begleitung, Unterstützung, Pflege und Betreuung kann sehr gut auf verminderte Wahrnehmungsmöglichkeiten ausgerichtet erfolgen, vorausgesetzt, man kennt die vorhandenen Einschränkungen.
Leitfaden für medizinische Fragen
Der Gesundheitszustand vieler älterer Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen ist im Vergleich zur Gesamtbevölkerung oft schlechter. Das liegt unter anderem am fehlenden medizinischen Wissen der begleitenden Personen. Um die Gesundheit zu erhalten, zu verbessern und wenn möglich wieder herzustellen, braucht es angepasste Unterstützungsleistungen.
Personen, die Menschen mit einer lebensbegleitenden Behinderung im Alter begleiten und unterstützen können sich im Leitfaden von CURAVIVA und INSOS, Branchenverbände von ARTISET, über medizinische Fragenstellungen informieren.
Der Leitfaden dient als Nachschlagewerk und hilft, Symptome einzuschätzen. Dies kann vor allem bei Menschen, die in der Kommunikation, in der Selbständigkeit oder im Urteilsvermögen eingeschränkt sind, lebenswichtig sein.
Demenzielle Erkrankungen
Mit dem Erreichen eines höheren Lebensalters nimmt auch bei Menschen mit einer lebensbegleitenden Beeinträchtigung das Risiko einer demenziellen Erkrankung zu. Wie bei Menschen ohne Behinderung ist ihr Verlauf gekennzeichnet durch eine zunehmende Verschlechterung der kognitiven und physischen Fähigkeiten sowie durch eine Zunahme an Verhaltensauffälligkeiten. Dabei sind Menschen mit Down-Syndrom besonders gefährdet, da sie aufgrund einer genetischen Disposition signifikant häufiger und deutlich früher an einer Alzheimer-Demenz erkranken.
Diagnose
Aufgrund der höheren Lebenserwartung und einer verbesserten Demenzfrüherkennung werden künftig höhere Prävalenz- (Häufigkeit) und Inzidenzraten (Neuerkrankungen) bei Menschen mit einer lebensbegleitenden Behinderung erwartet. Allerdings ist die Diagnosestellung insbesondere bei Menschen mit einer kognitiven Behinderung erschwert, weshalb eine dementielle Erkrankung oft spät erkannt oder fälschlicherweise der Behinderung zugeschrieben wird. Die gängigen Verfahren zur Diagnose einer Demenz setzen bestimmte intellektuelle und kommunikative Fähigkeiten voraus und können bei dieser Personengruppe nur beschränkt angewendet werden. Auch können eine Reihe physischer Erkrankungen (z.B. Augenerkrankungen) sowie medikamentöse Nebenwirkungen bei Menschen mit einer kognitiven Beeinträchtigung zu demenzähnlichen Symptomen oder zu einer Verschlechterung vorhandener Demenzsymptomen führen. Eine systematische, medizinische Untersuchung ist daher nötig.
Bei der Demenzdiagnostik müssen nebst dem Menschen mit Behinderung stets auch die Angehörigen und zuständigen Betreuungspersonen einbezogen werden. Dies bedeutet eine Mischung aus Tests der betroffenen Personen und Fremdbefragungen mit regelmässigen Verlaufsüberprüfungen.
Die Demenzbox von CURAVIVA und INSOS, Branchenverbände der Föderation ARTISET, enthält Anregungen und Empfehlungen für eine adäquate Betreuung, Pflege und Begleitung von Menschen mit Behinderung und einer demenziellen Erkrankung.